Bereits das erste Zitat, welches vom ersten Text der schon allein ob ihrer Erstmaligkeit beeindruckenden Schau Patrick Angus. Private Show, die vom 2. Dezember bis 8. April 2018 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen ist, stellt die Schwierigkeit, die über dieser gesamten Ausstellung steht, treffend dar. Agnus selbst stellte 1992, im Jahr seines Todes, fest, dass schwule Männer sich danach sehnen würden, sich selbst zu sehen – nämlich in Filmen, Theaterstücken, im Fernsehen und in Gemälden. Hier geht, wie zu meine ist, Selbstwahnehmung in Fremdwahrnehmung auf, und dies ist bekanntlich gefährlich. Agnus stellt sich mit solchen Aussagen zumindest als menschlicher Menschen und Künstler dar, aber es wird deutlich: Verstecken oder Öffentlichkeit, das ist die Devise; oder es scheint so.
Die vom Kunstmuseum Stuttgart bzw. den Kuratorinnen vertretene Hoffnung, dass die Queer-Studies sich durch diese gelungene Schau zu einer umfassenderen Erforschung des Schaffen von Angus verleiten ließen, geht in einem Aspekt zumindest fehl. Methodiker_Innen unter den einschlägigen Forscher_Innen werden nämlich ob manchen Wandtextes sicher etwas unruhig werden.[1]
Diese sind hervorragend recherchiert, woran keinerlei Zweifel besteht, aber sie haben den Zug des Ethnographischen inne. Ein Zug, ja Habitus, den die Ethnologie eigentlich lange schon abgelegt, ja sogar in den Orkus verbannt hat. So beispielsweise der Satz: „Die homosexuelle Lebenswelt in der modernen Großstadt mit ihren Bars, Bädern und Strip-Theatern – bisher tabuisierte Bereiche – wird bei Angus bildwürdig.“ Die Rhetorik spielt da ihr Theater, da sie impliziert, dass die homosexuelle Lebenswelt – man beachte die Karriere des Begriffes spätenstens seit Edmund Husserl – nur daraus bestünde. Die Szene besteht jedennoch meist nur aus höchstens 5-10 Prozent jener Menschen, die in Frage kommen. Die anderen führten und führen ein, sogar nicht selten, bürgerliches Leben, sind „puperlg’sund“ und essen ihre Mahlzeiten, wie alle anderen zu Hause.

Dies soll aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass hier Direktorin Ulrike Groos und Anne Vieth, die als Kuratorinnen zeichnen, nicht exzellente Arbeit geleistet hätten. Beim Betrachten der Anordnung und Gestaltung der Räume wird sofort klar, dass hier Menschen gearbeitet haben – die wissenschaftlichen Assistenzen Sarah Donata Schneider und Tobias Bednarz miteingeschlossen -, die verstehen, wie eine Kunstschau ansprechend zu gestalten ist, so dass man sich gerne in ihr aufhält. Dies ist auch dem Ausstellungskatalog anzusehen, der zum Blättern und Reflektieren einlädt, wobei zu Fragen bleibt, ob die Fotographien aus dem nicht mehr existenten Gaiety Theatre, New York wirklich haben sein müssen.[2]
Eine besonders reizvolle Wandcollage sei noch erwähnt. Im zweiten Raum der Ausstellung sind Selbstportraits von Patrick Angus zu sehen. Die „Verwandlung“ des dargestellten Gegenstandes über Jahre, Stilwandel und Krankheit hinweg werden rasch deutlich. Paradox allerdings der Umstand, dass das „schönste“, rührendste Selbstportrait, den kurz vor dem Ableben stehenden Künstler zeigt, was Thesen von Sandro Zanetti zu bestätigen scheint.[3]
Abschließend ist anzumerken, dass wem es um die US-amerikanische Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gelegen ist, sich nicht abschrecken lassen sollte dem Kunstmuseum Stuttgart einen Besuch abzustatten. Auch wer nicht unbedingt mit homoerotischer Kunst sich gerne konfrontiert, wird rasch feststellen, dass eine Boticelli-Ausstellung bezüglich Nacktheit nicht weniger konkret wäre. Die Antwort allerdings auf die Frage, warum Angus sich zu Lebzeiten nie am Kunstmarkt durchsetzten konnte scheint beantwortet. Dies liegt nicht an seiner Homosexualität odeer seinen Motiven, sondern an der Verarbeitung derselben. Ein Künstler zur falschen Zeit am falschen Ort, wenn man an den US-amerikanischen Kunstmarkt der 80er und frühen 90er Jahre denkt.
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[1] Beispielsweise Ursula Pasero: „Gender, Individualität, Diversity“, in: Dies. und Christine Weinbach, Frauen, Männer, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays, Frankfurt am Main 2003, 105–124.
[2] Patrick Angus. Private Show, herausgegeben von Ulrike Groos, Berlin 2017, 19.
[3] Sandro Zanetti: „Was zu tun bleibt“, in: magazin. Die Zeitschrift der Universität Zürich 22 (2013), 4, 52–55 und sehr viel ausführlicher Ders.: Avantgardismus der Greise? Spätwerke und ihre Poetik, München 2012.
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