Premieren-Fieber in der Festhalle Onstmettingen

Ein besonderer Konzertabend war gestern in der Onstmettinger Festhalle zu erleben. Der Musikverein Onstmettingen. Grosses Blasorchester Albstadt e.V. (kurz: MVO) stellte mit diesem Konzert das Konzept seines zur Tradition gewordenen Winterkonzerts, welches immer im Dezember stattfindet, in Frage und gibt ihm ab sofort den Namen Albzauber. Zur Premiere der damit geborenen neuen Reihe war das Konzert Die Winter-Gala 2017 angekündigt worden. Die Besonderheit in diesem Jahr waren zweifellos die beiden hochkaratigen Gesangsolisten Carla Thullner und Gunnar Schierreich, die schlichtweg beeindruckten.  Dennoch die Krone des Abends gebührt jemand anderem, dem man diese gerne überlässt…

Es kann nach heutigem „state of the art“ kein Zweifel mehr bestehen, dass der britische Historiker Eric Hobsbawm mit seinem lange geschmähten Begriff der erfundene Tradition den Nagel auf den Kopf getroffen hat. In einem sehr beachtlichen und dennoch kurzen Aufsatz hat er mit einem Handstreich den Gerüchten darüber allen Wind aus den Segeln genommen, dass Traditionen ganz im Sinne des lateinischen Wortursprungs etwas Ewiges, von Alters her Überliefertes wären. Am Schottenrock und dem Sirtaki hat er gezeigt, dass das ein schönes Märchen ist.

In diesem Sinne brachte der MVO den Mut auf, der Sache eine neue Ausrichtung zu geben. Dies geschah mit einem veritablen Abend, der, so will man meinen, Epoche gemacht hat. Die Werbung hatte nicht zuviel versprochen und einen großen Anteil daran hat nicht nur das wohlstudierte Orchester unter der fähigen Leitung von MD Sebastian Rathmann, sondern auch die beiden Solisten des Abends Carla Thullner und Gunnar Schierreich. Das Schöne dabei: es sind „Hiesige“, wie der Volksmund das so unnachahmliche betont.

Die Sopranistin Carla Thullner ist mit aller Berechtigung im Zollernalbkreis in aller Munde. Durch die fähigen Hände von Jeanette Favaro-Reuter an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig gegangen und durch Wettbewerbsteilnahmen gestärkt, geht sie ihren Weg. Sie zeigte bei dieser Gala, dass sie Stimmschönheit, äußerliches Erscheinungsbild und ein sublimes Spiel so miteinander zu vereinen weiß, dass das Gesamtpaket am Ende stimmt. Das gelingt wenigen Künstlerinnen ihres Alters. Die beiden persönlichen Höhepunkt des Rezensenten setzte sie mit der überirdischen Arie „Měsíčku na nebi hlubokém“ aus der Oper Rusalka von Antonín Dvorák, freilich in Originalsprache, und Franz Lehárs „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ aus dessen Guiditta. Zugegeben: da durfte es dem Publikum heiß werden, wenn eine Sängerin derart mit ihm flirtet und auch Dirigent Rathmann bekam das zu spüren. Das nennt sich in der Fachsprache so unromantisch „rollendeckend“.

Hierzu passte das, was Tenor Gunnar Schierreich, der bei der wohl patentesten Gesangspädagogin im Umkreis von 100 Kilometern, wenn nicht noch mehr studiert: Birgit Wagner-Ruh. Großartig auch sein Umgang mit seinem Instrument, wenn nicht die lästige Mikrophonierung am Konzertabend so störend gewesen wäre. Beim nächsten Mal bitte den technischen Schnickschnack weglassen – diese beiden Stimmen setzten sich auch so gegen die untaugliche Akustik der Festhalle in Onstmettingen durch. Ein Kammerspiel liefert Schierreich als Paganini in Franz Lehárs „Gern hab ich die Frau’n geküsst“, wo er mit viel Gespür für das Wort-Ton-Verhältnis notwendigerweise zum Schmunzeln anregen musste. Den sprichwörtlichen Vogel schoß er allerdings mit „Nessun Dorma“ aus Giacomo Puccinis unvollendeter Oper Turandot nach dem Märchen Carlo Gozzis ab. Diese Arie wird von vielen Tenören zu leichtferig ins Repertoire genommen und der Rezensent musste vor einiger Zeit in Wien erleben, dass sogar ein alter Puccini-Kenner, der die Rolle des Calaf erstmals mit 65 Jahren meinte singen zu müssen, daran scheiterte. Gunnar Schierreich tat das nicht – nein, er reüsierte sogar mit einem überlangen Spitzenton am Ende.

Das große Blasorchester erwies den beiden Sängern das Vergnügen sie patent zu begleiten. Auch keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass sich selbst professionelle Orchester nicht selten mit dieser Aufgabe überfordert sehen. Besonders hervorzuheben von den Konzertbeiträgen ohne SängerInnen-Beteiligung ist das Potpourri aus Mary Poppins, welches vom wohl größten Blasorchester-Komponisten des letzten Jahrhunderts eingerichtet worden ist, dem Amerikaner Alfred Reed. Wenn es nicht das wundervoll ausgeführte Trompetensolo – leider blieb der Solist im Programm ungenannt – gegeben hätte, so hätte man gerne auf die einzige Originalkomposition im Programm verzichtet. Wiewohl sehr schön musiziert, taugt James Curnows The Eagle’s Flight nun wirklich nur der Quote – er hat schon länger keinen größeren Wurf gelandet.

Doch die Krone des Abends gebührt ausschließlich dem Jugendorchester. So ehrlich muss man sein. Sebastian Rathmann und Jonas Ganter ist es stellvertretend für sicherlich viele andere, ja vor allem den jungen Musikerinnen und Musikern zu danken, dass sich der MVO um Nachwuchs keine Sorgen machen muss. Wiewohl – bei allem nötigen Respekt – ältere Gesichter im Jugendorchester zu erkennen waren, haben diese jungen Künstlerinnen und Künstler vollauf überzeugt. Im Zusammenspiel höchst souverän und vor allem bei den Schlussakkorden wirklich intonatorisch auf den Punkt genau, wussten Solisten, wie auch das gesamte Jugendorchester auf ganzer Linie zu überzeugen.

Abschließend seien noch die Moderatoren des Abends für ihre entzückende Begleitung durch das Programm und ihre bereichernden Anmerkungen hervorgehoben. Christine Sauter und Alexander Albert  haben mit einer künstlerischen Einzelleistung, die auf Programm und Plakat ebenso zu würdigen ist, wie die aller Solisten und einen „Einzelvorhang“ verdient hat, den Abend erst zu einer Gala werden lassen.

Im Sinne Hermann von Gilms sei allen Mitwirkenden ein „Habe(t) dank“ ausgesprochen.

 

 

 

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